7. Hinweis: Der Text baut auf vorherigen Texten auf (2. Teil)

Die Begebenheit in Richter 19 ist nicht so bekannt wie andere biblische Geschichten, was wahrscheinlich daran liegt, dass sie eine der merkwürdigsten und widerlichsten Geschichten in der ganzen Bibel ist. In dieser Geschichte nimmt sich ein Levit vom Gebirge Ephraim eine Nebenfrau aus Bethlehem. Sie läuft jedoch weg von ihm und kehrt in das Haus ihres Vaters in Bethlehem zurück. Nach vier Monaten geht ihr Mann nach Bethlehem, um sie zurückzuholen. Doch dem Vater der Frau gelingt es, die beiden fünf Tage aufzuhalten. Am Abend des fünften Tages beginnen sie endlich die Rückreise nach Ephraim. Weil es schon spät am Tag ist, schlägt der Knecht dem Ehemann vor, dass man die Nacht in Jebus (Jerusalem) verbringen könne. Der Ehemann will aber in einer Stadt Israels einkehren. Am Ende bleiben sie im Haus eines alten Mannes in der Stadt von Gibea.

Schon an diesem Punkt stellt der aufmerksame Leser etwas fest: Besucher, die am Abend in eine Stadt kommen und eingeladen werden im Haus von jemandem zu übernachten? Woran erinnert einen diese Szene? Die Antwort ist klar: 1. Mose 19 – die Geschichte von Lot und der Zerstörung Sodom und Gomorras. Wenn man sich die beiden Geschichten genauer anschaut, stellt man fest, dass dies nicht die einzigen Parallelen sind:

Als sie nun ihr Herz guter Dinge sein ließen, siehe, da umringten die Männer der Stadt, ruchlose Männer, das Haus, trommelten gegen die Tür und sagten zu dem alten Mann, dem Herrn des Hauses: Führe den Mann, der in dein Haus gekommen ist, heraus, wir wollen ihn erkennen! Da ging der Mann, der Herr des Hauses, zu ihnen hinaus und sagte zu ihnen: Nicht doch, meine Brüder, tut doch nichts Übles! Nach dem dieser Mann in mein Haus gekommen ist, dürft ihr solch eine Schandtat nicht begehen! Siehe, meine Tochter, die noch Jungfrau ist und seine Nebenfrau, sie will ich herausbringen. Ihnen tut Gewalt an und macht mit ihnen, was gut ist in euren Augen. Aber an diesem Mann dürft ihr so eine schwere Schandtat nicht begehen! (Richter 19,22-24)

Noch hatten sie sich nicht niedergelegt, da umringten die Männer der Stadt, die Männer von Sodom, das Haus, vom Knaben bis zum Greis, das ganze Volk von allen Enden der Stadt. Und sie riefen nach Lot und sagten zu ihm: Wo sind die Männer, die diese Nacht zu dir gekommen sind? Führe sie zu uns heraus, daß wir sie erkennen! Da trat Lot zu ihnen hinaus an den Eingang und schloß die Tür hinter sich zu; und er sagte: Tut doch nichts Böses, meine Brüder! Seht doch, ich habe zwei Töchter, die keinen Mann erkannt haben; die will ich zu euch herausbringen. Tut ihnen, wie es gut ist in euren Augen! Nur diesen Männern tut nichts, da sie nun einmal unter den Schatten meines Daches gekommen sind! (1. Mose 19,4-8)

Die klaren Parallelen zwischen diesen beiden Geschichten legen nahe, dass der Autor von Richter 19 die Geschichte ganz bewusst so geschrieben hat, dass der aufmerksame Leser an 1. Mose 19 erinnert wird. Die Frage ist: warum hat er das gemacht? Anscheinend möchte er dem Leser aufzeigen, dass eine Verbindung zwischen diesen beiden Begebenheiten besteht, besonders zwischen den Männern von Sodom und den Männern von Gibea. Beide Gruppen haben dieselbe Einstellung – und genau das soll herausgestellt werden. Am Ende des Richterbuches ist Israel wie Sodom geworden!

Genau genommen ist Israel sogar noch schlimmer als Sodom geworden: in Sodom kam es letztlich zu keiner Vergewaltigung, in Gibea dagegen schon. Wie tief Israel wirklich gefallen ist, wird auch an dem Dialog deutlich, der sich in der Mitte der Geschichte befindet: während der Knecht vorschlägt, in einer fremden Stadt (Jebus) zu übernachten, besteht der Ehemann darauf, in einer Stadt der Söhne Israels zu bleiben (Richter 19,11-12). Dadurch betont der Schreiber noch mehr, dass Gibea eine israelitische Stadt ist – so als ob er sagen möchte: Ist denn das zu glauben? Das Ganze ist nicht in einer Stadt von Fremden geschehen (wo man es hätte erwarten können), sondern in einer Stadt Israels!

Der Vergleich mit Sodom hebt also hervor, wie gottlos Israel geworden war und wie sehr es einen Erlöser brauchte. Das ganze Richterbuch hindurch stehen verschiedene Retter auf, die die Feinde besiegen. Am Ende des Buches jedoch gibt es keine Retter mehr. Israel hat keinen König und jeder tut, was recht ist in seinen Augen – genau wie die Männer von Gibea. Wir müssen bis 1. Samuel 9 warten, bis der Retter erscheint (siehe dort Vers 16: „Der wird mein Volk aus der Hand der Philister erretten“). Interessanterweise kommt dieser aus Gibea und ist, wie sich am Ende herausstellt, nicht viel besser als die Männer seiner Stadt. Deswegen verwirft ihn Gott und beruft einen anderen Retter, der aus Bethlehem kommt – einer Stadt, die in Richter 19 ebenfalls erwähnt wird. Dieser Retter ist ganz anders, ein Mann nach dem Herzen Gottes. Er vollendet die Eroberung Kanaans, welche im Richterbuch unvollständig blieb, und bereitet den Weg für den König des Friedens, Salomo, vor. Salomo ist wie sein Vater ein Typus für den endgültigen Erlöser Israels. Dieser gibt sein Leben, so dass sogar das zu Sodom gewordene Israel gerettet werden kann, wenn es sein Opfer für die eigenen Sünden annimmt!

Hausaufgabe

Schau dir 1. Mose 32,26-29 an. Auf welche vorherige Geschichte wird hier angespielt und warum?